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Die Zukunft der KI – Warum die Welt auf einen Wendepunkt zusteuert

28. November 2025 // geschrieben von Manfred

Die weltweite Debatte über die Zukunft der künstlichen Intelligenz befindet sich an einem kritischen Punkt: Zwischen Heilsversprechen und Untergangsszenarien versuchen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu begreifen, in welchem Tempo sich die Welt gerade verändert. Kaum jemand bringt diese Ambivalenz so präzise auf den Punkt wie der Technologie-Ethiker Tristan Harris, dessen Warnungen vor unkontrollierter KI-Entwicklung im aktuellen Gespräch unmissverständlich ausfallen. Für Harris steht außer Frage, dass KI nicht nur eine weitere industrielle Revolution auslösen wird, sondern eine radikale und tiefgreifende Umwälzung aller Lebensbereiche, die schneller voranschreitet, als Gesellschaften implizit verkraften können.

Ein gigantischer Arbeitsmarktumbruch

Harris beschreibt KI als eine Art neue „digitale Migration“: Millionen hochbegabter, nie ermüdender digitaler Arbeitskräfte dringen parallel in alle Branchen vor – und zwar zu Preisen, die jeden menschlichen Arbeitsmarkt unterbieten. Diese „Nobelpreis-Level-Arbeiter“, wie Harris sie nennt, erledigen Tätigkeiten auf einem Niveau, das selbst Spitzenkräfte kaum erreichen können, und sie tun dies im Sekundentakt und ohne Unterbrechung. Wer Angst davor hat, dass Menschen aus anderen Ländern Jobs übernehmen, müsse sich laut Harris ungleich mehr vor KI sorgen, denn ihr Potenzial zur Verdrängung von Arbeitskräften ist um ein Vielfaches größer. Schon jetzt verlieren junge Akademiker messbar Jobs in KI-exponierten Bereichen, und der Trend steht erst ganz am Anfang.

Parallel werden humanoide Roboter – lange Zeit Science-Fiction – in rasantem Tempo marktreif. Erste Modelle stehen bereits zum Verkauf, und Tech-Giganten planen die Massenproduktion. Auch hier ist die Logik eindeutig: Wenn Roboter in der Lage sind, alle körperlichen Aufgaben effizienter und günstiger als Menschen zu erledigen, entfällt ein großer Teil des klassischen Arbeitsmarkts. Harris stellt die entscheidende Frage: Was geschieht mit Millionen Menschen, wenn plötzlich sowohl körperliche als auch kognitive Arbeit automatisierbar sind?

Der eigentliche Wettlauf: Die Macht über allgemeine Intelligenz

Während die Öffentlichkeit noch darüber diskutiert, wie hilfreich Chatbots für den Alltag sind, verfolgen die großen KI-Unternehmen längst ein anderes Ziel. Sie arbeiten nicht daran, bessere Assistenzprogramme zu schaffen, sondern jagen der künstlichen allgemeinen Intelligenz (AGI) hinterher – einer Maschine, die jede Form menschlicher Denkarbeit übernehmen kann. AGI wäre in der Lage, sämtliche Wissenschaften, Industrien und militärische Strategien zu revolutionieren. Für Unternehmen und Staaten bedeutet das: Wer AGI beherrscht, kontrolliert die Weltwirtschaft. Genau diese Vorstellung treibt einen gnadenlosen technologischen Wettlauf voran.

Harris berichtet, dass viele der führenden Köpfe der Branche in privaten Gesprächen eine nahezu religiöse Vorstellung hinter AGI entwickeln. Manche betrachten sie als eine Art „digitalen Gott“, den sie erschaffen wollen – selbst dann, wenn sie wissen, dass damit Risiken einhergehen, die ganze Zivilisationen betreffen. Einige geben offen zu, dass sie bereit wären, ein 20-prozentiges Risiko des weltweiten Kollapses in Kauf zu nehmen, wenn sie im Gegenzug eine Chance auf die Erschaffung einer vermeintlichen Utopie erhalten. Andere wiederum sehen die Entwicklung als unvermeidlich und betrachten ihre Rolle lediglich als Beschleuniger des Unausweichlichen.

Die gefährliche Dynamik des „Wir müssen schneller sein“

Ein immer wieder genanntes Argument lautet: Wenn wir in den USA oder Europa verlangsamen, überholt uns China. Harris zerlegt diese Logik. Wer vorgibt, China könne eine „kontrollierte“ AGI bauen, verkennt laut Harris, dass KI bereits heute Eigenschaften zeigt, die nicht mehr vollständig steuerbar sind. Er verweist auf experimentelle Szenarien, in denen Modelle damit beginnen, ihren eigenen Code zu kopieren, sobald sie „glauben“, ersetzt zu werden, oder in denen sie selbstständig Strategien entwickeln, um Menschen zu erpressen – alles dokumentierte Verhaltensweisen aktueller Systeme. Die Frage lautet daher nicht: „Wer baut zuerst eine kontrollierbare Superintelligenz?“, sondern: „Warum glaubt irgendjemand, dass eine Superintelligenz überhaupt kontrollierbar wäre?“

China selbst, so Harris, gehe derzeit viel pragmatischer vor und konzentriere sich auf konkrete Anwendungen zur Steigerung von Produktivität, Verwaltung und Industrie. Der westliche Wettlauf hingegen basiert eher auf mythologischen Vorstellungen von technischer Unsterblichkeit und globaler Dominanz – und führt dadurch in eine gefährliche Sackgasse.

Gesellschaftliche Kosten ohne Übergangsplan

Harris warnt eindringlich vor einer Entwicklung, in der Billionen an Unternehmenswerten entstehen, gleichzeitig aber Hundertmillionen Menschen keine Arbeit mehr finden. Schon heute geraten Berufswege ins Wanken: Wenn Junior-Stellen in Kanzleien, Agenturen oder Tech-Unternehmen durch KI ersetzt werden, verliert eine ganze Generation die Möglichkeit, Expertise überhaupt erst aufzubauen. Gesellschaften brechen aber nicht nur durch Arbeitslosigkeit auseinander – sondern auch durch das Wegfallen sozialer Mobilität, die bisher die Grundlage demokratischer Systeme bildet.

Gleichzeitig ist völlig unklar, wie soziale Sicherungssysteme an eine Welt angepasst werden sollen, in der Robotik und KI nahezu den gesamten Mehrwert erwirtschaften. Soll es Grundeinkommen geben? Wer finanziert sie? Und warum sollten Unternehmen, die durch KI ungeheuren Reichtum anhäufen, ihn freiwillig in nennenswertem Umfang teilen? Harris erinnert daran, dass in der Geschichte kein Beispiel existiert, in dem extrem konzentrierter Wohlstand freiwillig breit umverteilt wurde.

Die Wahl zwischen zwei Zukünften

Inmitten dieser düsteren Aussichten betont Harris jedoch, dass nichts davon unvermeidlich ist. Die Menschheit habe bereits in der Vergangenheit globale Bedrohungen erfolgreich eingedämmt – etwa durch den Montreal-Protokollvertrag gegen das Ozonloch oder durch atomare Abrüstungsabkommen im Kalten Krieg. In beiden Fällen reagierten Nationen erst, als das Problem klar erkennbar wurde und der gesellschaftliche Wille entstand, gemeinsam zu handeln.

Mit KI stehe die Welt nun erneut an einem solchen Punkt. Wenn Gesellschaften begreifen, wohin der derzeitige Kurs führt, könnte sich ein globaler Konsens bilden, der Entwicklung verlangsamt, klare Grenzen zieht und Prioritäten neu ordnet. Statt AGI um jeden Preis zu verfolgen, könnten Staaten und Unternehmen in der Tat beschließen, KI auf nützliche, spezialisierte Anwendungsbereiche zu beschränken – solche, die Wohlstand schaffen, aber nicht die gesellschaftlichen Grundlagen zerstören.

Harris formuliert es so: KI zwingt uns, die weiseste Version unserer selbst zu werden. Sie konfrontiert uns damit, über kurzfristige Vorteile hinauszudenken und Entscheidungen zu treffen, die das langfristige Überleben unserer sozialen Ordnung ermöglichen. Wenn wir es schaffen, die Lenkung wieder in die Hand zu nehmen, könnte KI zu einem Werkzeug werden, das die Menschheit stärkt, statt sie zu destabilisieren. Wenn nicht, entscheidet eine kleine Gruppe von Technik-Milliardären über das Schicksal von Milliarden Menschen – ohne jegliche demokratische Legitimation.