Vorwürfe, Vorverurteilungen und Verantwortung – Warum bei der AfD oft schneller geurteilt wird als erlaubt

Ein Blick auf die aktuelle Berichterstattung zum Immobilienstreit der AfD in Berlin zeigt, wie schnell Medien bei brisanten Vorwürfen in einen Tonfall verfallen, der die Unschuldsvermutung untergräbt – und warum das presseethisch problematisch ist.
Vorwürfe sind keine Urteile – und doch klingt es oft anders
Die jüngsten Schlagzeilen bei "The Pioneer" zum Immobilienstreit der AfD-Zentrale in Berlin-Wittenau lesen sich wie ein Drehbuch: harte Vorwürfe, dramatische Zitate, Bilder der Beschuldigten. Die Formulierung „sollen unter Druck gesetzt haben“ findet sich zwar, doch die detaillierte Nacherzählung der Anschuldigungen – garniert mit Anekdoten und wörtlichen Zitaten – lässt bei vielen Lesern den Eindruck entstehen: Da muss doch etwas dran sein.
Genau hier liegt das Problem: Vorwürfe werden im öffentlichen Diskurs oft so inszeniert, dass die Unschuldsvermutung praktisch unterläuft. Das gilt bei der AfD besonders häufig. Einerseits, weil die Partei gesellschaftlich polarisiert und bei vielen Redaktionen ohnehin kritisch beäugt wird. Andererseits, weil Skandalisierung Aufmerksamkeit bringt – und damit Klicks, Reichweite und Umsatz.
Die Rolle der Presse – zwischen Informationspflicht und Fairness
Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Sie umfasst das Recht, Missstände aufzuzeigen, auch mit scharfen Worten. Doch sie beinhaltet ebenso die Pflicht, transparent zwischen gesicherten Fakten und bloßen Behauptungen zu unterscheiden.
Der Pressekodex (Ziffer 13) sagt klar:
„Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren muss frei von Vorverurteilungen erfolgen.“
Das heißt:
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Vorwürfe müssen eindeutig als solche kenntlich gemacht werden.
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Zitate aus Anzeigen oder Klageschriften sind als unbestätigte Behauptungen zu kennzeichnen.
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Gegendarstellungen müssen gleichwertig sichtbar sein.
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Bildauswahl und Überschriften dürfen den Anschein von Schuld nicht erwecken.
Warum das wichtig ist – auch (oder gerade) bei politisch umstrittenen Akteuren
Die Unschuldsvermutung schützt nicht nur „die Guten“ – sie gilt für jeden, egal ob beliebt oder verhasst. Wird sie bei einer Partei wie der AfD aufgeweicht, weil man sich moralisch im Recht wähnt, ist das ein gefährlicher Präzedenzfall. Heute mag es die AfD sein, morgen vielleicht eine andere politische Kraft – oder sogar Journalisten selbst.
Presseethische Sorgfalt ist daher nicht nur juristische Vorsicht, sondern eine Investition in die Glaubwürdigkeit. Wer zu früh urteilt, riskiert nicht nur Klagen, sondern auch den langfristigen Verlust an Vertrauen.
Fazit
Es ist legitim, über schwerwiegende Vorwürfe zu berichten – es ist sogar Pflicht der Medien. Aber es ist ebenso Pflicht, dies ohne suggestive Bildsprache, ohne unausgewogene Darstellung und ohne den Anschein der Schuld zu tun. Die Unschuldsvermutung ist kein lästiges Hindernis für knackige Schlagzeilen, sondern ein Grundpfeiler eines Rechtsstaats. Wer ihn untergräbt, beschädigt nicht nur das Ansehen des Beschuldigten – sondern auch das eigene.