„Gesichert verfassungswidrig?“ – Wie der Verfassungsschutz mit der AfD-Hochstufung selbst zur Gefahr für die Demokratie wird

Am 2. Mai 2025 veröffentlichte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine folgenschwere Mitteilung: Die Alternative für Deutschland (AfD) werde nun als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Diese Mitteilung, begleitet von umfangreicher medialer Berichterstattung, erfolgte kurz vor mehreren anstehenden Landtags- und Kommunalwahlen – und noch bevor über zentrale Rechtsfragen im anhängigen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht entschieden wurde.
Was für viele nur ein weiterer Schritt im Umgang mit einer umstrittenen Partei zu sein scheint, stellt aus rechtsstaatlicher Sicht einen Tabubruch dar – das zumindest behauptet die Kölner Kanzlei Höcker im Namen der AfD. In einer 25-seitigen Abmahnung wirft sie dem BfV nicht weniger als einen verfassungswidrigen Angriff auf die Grundlagen des politischen Wettbewerbs vor.
Was ist passiert?
Am 2. Mai 2025 erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz in einer Pressemitteilung die AfD zur „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“. Die Begründung: Die Partei vertrete ein „ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis“, das mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sei. Die AfD würde bestimmte Bevölkerungsgruppen – insbesondere Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund – systematisch abwerten, ausschließen und diffamieren. Dies sei durch Äußerungen führender Parteimitglieder und durch die ideologische Nähe zur Jungen Alternative (JA) belegt.
Diese Einstufung wurde mit einem mehr als 1100 Seiten starken Gutachten untermauert, das – wie schon in früheren Fällen – umgehend an verschiedene Medien „durchgestochen“ wurde. Medien wie Spiegel, Süddeutsche Zeitung und Tagesschau berichteten bereits am Morgen des 2. Mai über Einzelheiten aus dem bislang unveröffentlichten Dokument.
Was wirft die Kanzlei Höcker dem Verfassungsschutz vor?
Die Hochstufung sei laut Höcker rechtswidrig, weil sie keine gesetzliche Grundlage im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) habe. Das Gesetz unterscheidet nur zwischen Beobachtungsobjekten und Verdachtsfällen – die Kategorie „gesichert extremistisch“ sei gesetzlich gar nicht vorgesehen. Die Behörde habe sich hier eine Bewertungskompetenz angemaßt, die ihr weder zusteht noch geregelt ist.
Das Grundgesetz schützt politische Parteien in besonderem Maße. Nur das Bundesverfassungsgericht darf feststellen, dass eine Partei verfassungswidrig ist. Dieses sogenannte Parteienprivileg (Art. 21 GG) untersagt ausdrücklich jedes „administrative Einschreiten“ gegen eine Partei. Das BfV habe mit der Hochstufung und deren öffentlicher Bekanntgabe diesen Schutz untergraben – ein Verstoß gegen das Entscheidungsmonopol des BVerfG und ein Angriff auf die politische Chancengleichheit.
Die Anwälte zitieren zahlreiche Urteile des Bundesverfassungsgerichts, u.a. das KPD-Urteil von 1956 und die Ramelow-Entscheidung von 2013, die den Schutz politischer Parteien selbst dann aufrechterhalten, wenn sie „verfassungsfeindliche Tendenzen“ zeigen – solange keine gerichtliche Feststellung vorliegt.
Besonders brisant: Die Bekanntgabe erfolgte wenige Monate vor mehreren wichtigen Wahlen, darunter die Kommunalwahl in NRW (September 2025) sowie Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Höcker sieht hierin einen gezielten Eingriff in die demokratische Willensbildung – ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot des Staates im Vorfeld von Wahlen. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass staatliche Institutionen bei Wahlen äußerste Zurückhaltung üben müssen. Das BfV habe sich über diese Linie hinweggesetzt.
Der Vorwurf der politischen Instrumentalisierung
Ein weiterer zentraler Vorwurf: Das BfV handle nicht unabhängig, sondern als verlängerter Arm der Regierung. So sei die Ankündigung der Hochstufung bereits im Bundestag gefallen – durch den damaligen Präsidenten Thomas Haldenwang, der kurze Zeit später seine Kandidatur für die CDU bekanntgab. Diese Nähe zur Parteipolitik und der Zeitpunkt der Bekanntgabe lassen laut Höcker auf eine gezielte, parteipolitisch motivierte Kampagne schließen.
Zudem sei es demokratiepolitisch höchst problematisch, wenn eine Behörde – statt den Rechtsweg vor dem Bundesverfassungsgericht zu beschreiten – eine Partei durch mediale Vorverurteilung faktisch delegitimiert, ohne dass sie sich effektiv wehren könne.
Die Höcker-Kanzlei geht auch auf den zentralen juristischen Begriff der „Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ ein. Für eine solche Einstufung sei laut ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine aktiv-kämpferische Haltung notwendig – bloße Meinungen, Kritik oder auch polemische Aussagen reichten nicht aus.
Selbst das BfV selbst habe in internen Unterlagen vom Oktober 2023 noch zu Protokoll gegeben, dass von der AfD kein gewalttätiges Gefährdungspotenzial ausgehe. Höcker argumentiert: Wenn das BfV selbst keine aktive, aggressive Bekämpfung der Demokratie sieht, wie kann dann ein Jahr später plötzlich „Gewissheit“ über eine extremistische Grundhaltung bestehen?
Fehlende Sachgrundlage und mangelnde Neutralität
Die Abmahnung wirft dem BfV vor, mit einem unsauberen Verfahren gearbeitet zu haben. Die angebliche „Gewissheit“ beruhe auf rein subjektiven Wertungen, unklaren Kriterien und sei nicht durch überprüfbare Tatsachen gestützt. Aussagen von Einzelpersonen würden der Gesamtpartei pauschal zugerechnet, ohne zu zeigen, dass diese den Charakter der Partei prägen. Die AfD-Programmatik sei – so zitiert Höcker den Staatsrechtler Prof. Dr. Christian Waldhoff – „kein Angriff auf das Grundgesetz“, sondern enthalte Passagen, die sich ausdrücklich zum Grundgesetz bekennen.
Der schwerwiegendste Punkt in der gesamten Argumentation: Die Bundesrepublik Deutschland sei dabei, eine demokratische Partei durch staatliche Machtmittel systematisch zu schwächen – ohne Gerichtsentscheid, ohne Verbot, aber mit maximaler öffentlicher Stigmatisierung. Damit betreibe der Staat genau das, wogegen das Grundgesetz ihn ausdrücklich absichert: Die Manipulation des politischen Wettbewerbs durch exekutive Eingriffe.
Fazit: Ein Fall für das Bundesverfassungsgericht – und für die Öffentlichkeit
Ob man die AfD politisch unterstützt oder strikt ablehnt: Diese rechtliche Auseinandersetzung ist von enormer Tragweite. Sie wirft zentrale Fragen zur Rolle und Macht des Verfassungsschutzes auf – und zu den Grenzen staatlicher Einflussnahme im politischen Raum.
Wenn die Maßstäbe für die Verfassungswidrigkeit nicht mehr vom Bundesverfassungsgericht gesetzt werden, sondern von einer dem Innenministerium unterstehenden Behörde – dann wird das Grundgesetz zur Auslegungssache der Regierung. Und das ist nicht nur ein Problem für eine Partei, sondern ein Angriff auf die demokratische Architektur der Bundesrepublik.