Zum Hauptinhalt springen

Frühes Wissen, frühes Versagen

31. Dezember 2025 // geschrieben von Manfred
Prof. Dr. René Gottschalck

Der Vortrag von René Gottschalk, Professor, Mediziner und langjähriger Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes, ist kein Rückblick aus sicherer Distanz. Er ist ein Dokument aus dem Inneren des Systems – gesprochen von jemandem, der zu Beginn der Pandemie Verantwortung trug und früh erkannte, wie fatal die politische Fehlsteuerung werden würde. Was Gottschalk schildert, widerspricht fundamental der bis heute gepflegten Legende, man habe es im Frühjahr 2020 mit einer völlig unbekannten Bedrohung zu tun gehabt.

Bereits Anfang Februar, mit dem ersten bestätigten Fall in Frankfurt, lagen aus seiner Sicht ausreichend Hinweise vor, um gezielt zu reagieren. In Hessen gab es konkrete Überlegungen, ein Expertenteam nach Bergamo zu entsenden, um die dortigen Zustände wissenschaftlich aufzuarbeiten. Der damalige Gesundheitsminister Kai Klose zeigte sich offen dafür. Doch das Projekt wurde politisch ausgebremst. Nicht medizinische Gründe standen im Weg, sondern föderale Machtspiele. Statt Erkenntnisgewinn setzte sich früh eine Strategie durch, die auf Symbolik und Kontrolle zielte – mit dramatischen Folgen.

Gottschalk macht in seinem Vortrag deutlich, dass zentrale epidemiologische Eckdaten bereits damals bekannt waren. Die Heinsberg-Untersuchungen von Hendrik Streeck lieferten früh belastbare Ergebnisse, die bis heute Bestand haben. Auch der Ausbruch auf der Diamond Princess zeigte unter quasi experimentellen Bedingungen, wie das Virus wirkt: hohes Ansteckungspotenzial, ja – aber ein Risiko, das sich klar auf ältere und vorerkrankte Menschen konzentrierte. Kinder spielten praktisch keine Rolle. Diese Erkenntnisse verschwanden jedoch rasch aus der politischen Kommunikation.

Angstpolitik statt Evidenz

Statt nüchterner Analyse setzte sich eine politische Erzählung durch, die Angst zum Steuerungsinstrument machte. Kinder wurden zu vermeintlichen Pandemietreibern erklärt, obwohl die Datenlage das nicht hergab. Gottschalk berichtet offen über den fachlichen Konflikt mit Christian Drosten, der medial zum Gesicht der Pandemie aufgebaut wurde. Wer widersprach, galt schnell als unsolidarisch oder gefährlich.

Parallel dazu gerieten Institutionen unter politischen Druck. Die STIKO wurde öffentlich angetrieben, ihre Zurückhaltung als Trägheit diffamiert. Politiker wie Robert Habeck oder Markus Söder nutzten jede Gelegenheit, um Fachgremien zu delegitimieren, wenn diese nicht schnell genug politische Erwartungen erfüllten. Was dabei systematisch unter den Tisch fiel, war die Frage der Verhältnismäßigkeit. Wirksamkeit im Labor wurde mit gesellschaftlicher Notwendigkeit gleichgesetzt – ein grundlegender Kategorienfehler.

Besonders deutlich wird das bei den Zahlen. Gottschalk spricht offen aus, was offiziell nie eingeräumt wurde: Deutschland hatte zu keinem Zeitpunkt eine echte Inzidenz. Gezählt wurden positive Tests, abhängig von politisch gesteuerter Testintensität. Trotzdem wurden diese Zahlen zur Grundlage massiver Grundrechtseingriffe gemacht. Ausgangssperren, Lockdowns, Schulschließungen – alles ohne saubere Datengrundlage. Gleichzeitig wurden Gesundheitsämter ihrer eigentlichen Aufgabe beraubt. Statt Pflegeheime zu begleiten und Schutzkonzepte umzusetzen, versanken sie in der Kontaktverfolgung. Der Schutz der vulnerabelsten Gruppen blieb auf der Strecke.

Pflegeheime als blinder Fleck der Pandemiepolitik

An diesem Punkt wird der Bezug zur Fingerklopfer-Recherche über das Limburger St. Georg-Altenheim zwingend. Die Vorgänge dort sind kein bedauerlicher Ausrutscher, sondern Ausdruck eines systemischen Versagens. Isolation wurde zur Standardmaßnahme, Besuchsverbote zur moralisch aufgeladenen Pflicht. Was als Schutz verkauft wurde, bedeutete für viele alte Menschen Vereinsamung, Verzweiflung und einen Verlust an Würde. Gottschalk beschreibt in seinem Vortrag genau dieses Problem: Pflegeheime wurden politisch beschworen, praktisch aber allein gelassen.

Die Recherchen des Fingerklopfers zeigen, wie vor Ort Verantwortung hinter Verordnungen verschwand. Nicht das Virus allein verursachte Leid, sondern eine Maßnahmenpolitik, die sich selbst genügte. Gesundheitsämter, die eigentlich hätten kontrollieren und korrigieren sollen, waren schlicht überlastet oder falsch eingesetzt. Dass dies bis heute kaum aufgearbeitet wird, ist kein Zufall, sondern Konsequenz politischer Selbstschutzmechanismen.

Fazit

Der Vortrag von Prof. Dr. René Gottschalk ist ein Weckruf, den man nicht länger überhören darf. Die Coronapolitik in Deutschland war kein unausweichlicher Ausnahmezustand, sondern das Ergebnis konkreter Entscheidungen – getroffen trotz besserem Wissen. Eine echte Aufarbeitung muss dort ansetzen, wo politische Narrative durch Fakten ersetzt werden. Sie muss Verantwortung benennen, insbesondere für die Zustände in Alten- und Pflegeheimen. Sie muss anerkennen, dass Grundrechte auf Basis fragwürdiger Annahmen eingeschränkt wurden. Und sie muss endlich Schluss machen mit Aufarbeitungsgremien, die von denselben Akteuren dominiert werden, die zuvor versagt haben.

Der Fingerklopfer fordert eine unabhängige, transparente Untersuchung ohne politische Rücksichtnahme, eine klare Entschädigung und Anerkennung für die Opfer der Maßnahmenpolitik und eine grundlegende Reform des Krisenmanagements im Gesundheitswesen. Alles andere ist keine Aufarbeitung – sondern Verdrängung mit amtlichem Siegel.

Wir benutzen Cookies
Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, Ihnen Content (wie z.B. Youtube Videos) anzubieten. Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. In den unten verlinken Datenschutzhinweisen erklären wir ausführlich unsere Cookie-Policy. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung von Cookies womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen. Sie können Ihre Entscheidung über einen Link im unteren Teil der Webseite jederzeit widerrufen oder neu erteilen.