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Wenn ein Bundesland den Medienstaatsvertrag kündigt – was Ulrich Siegmunds Vorstoß bedeuten würde

20. November 2025 // geschrieben von Manfred

Der sachsen-anhaltische AfD-Politiker Ulrich Siegmund hat angekündigt, im Falle einer Regierungsbildung eine der ersten Maßnahmen wäre, den Medienstaatsvertrag zu kündigen. Das klingt sperrig – und nach einem bürokratischen Detail. In Wirklichkeit wäre es einer der tiefsten Eingriffe in die deutsche Medienordnung seit Bestehen der Bundesrepublik. Doch was steckt dahinter? Und was würde tatsächlich passieren, wenn ein einzelnes Bundesland aus dem gemeinsamen Medienrecht ausschert?

Ein Vertrag, zwölf Rundfunkanstalten, sechzehn Länder

Der Medienstaatsvertrag (MStV) ist so etwas wie das Grundgesetz des deutschen Rundfunksystems: Er regelt, wie private und öffentlich-rechtliche Medien arbeiten, wie Plattformen und Intermediäre (etwa Google, Amazon, soziale Netzwerke) mit Medien umgehen müssen, wie Lizenzen vergeben werden und wie die Landesmedienanstalten kontrollieren.
Er wird von allen 16 Bundesländern gemeinsam getragen – ohne ein einzelnes Land funktioniert er nicht wirklich.

Was die Kündigung bedeuten würde

Die Vorstellung, ein Bundesland könne den Vertrag einfach verlassen, klingt nach einem administrativen Hebel. In der Realität wäre die Konsequenz jedoch ein Rechtsvakuum. Sachsen-Anhalt hätte mit einem Schlag:

  • keine funktionierende Medienaufsicht mehr
  • keine klaren Regeln für Radio- und Fernsehlizenzen
  • keine Anbindung an gemeinsame digitale Standards und Plattformregeln
  • keine gültige Beteiligung am ARD-Verbund über den MDR

Das Land müsste einen kompletten eigenen Medienrechtsrahmen schaffen – in einer Materie, die in Deutschland seit Jahrzehnten bewusst länderübergreifend organisiert wird, weil Medien nun einmal nicht an Landesgrenzen haltmachen. Für viele Bürger in diesem Land dennoch eine verlockende Aussicht.

Und der Rundfunkbeitrag?

Ein weitverbreitetes Missverständnis: Die Kündigung des Medienstaatsvertrags würde den Rundfunkbeitrag nicht automatisch abschaffen.

Erstens, weil der Beitrag über einen eigenen Staatsvertrag geregelt ist, und zweitens, weil Sachsen-Anhalt weiterhin eine gesetzliche Pflicht hätte, seine Landesrundfunkanstalt zu finanzieren – es sei denn, das Land würde versuchen, einen eigenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufzubauen. Der wäre jedoch deutlich teurer als der Beteiligungsanteil am Mitteldeutschen Rundfunk. Kurz gesagt: Die Folge wäre eher Unsicherheit oder finanzielle Mehrbelastung, nicht Einsparung.

Was würde mit MDR, ARD und den Programmen passieren?

Der MDR ist eine Dreiländeranstalt: Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Kündigt eines der Länder den MStV, stellt sich sofort die Frage: Wie soll der MDR weiterhin gemeinsam arbeiten?

Rein juristisch wäre Sachsen-Anhalt aus der bisherigen ARD-Ordnung herausgefallen. Inhalte wie „Tagesschau“, ARD Mediathek, Gemeinschaftsproduktionen oder zentrale technische Systeme müssten neu verhandelt werden – und zwar zu Preisen, die das Land allein kaum tragen könnte.

Verfassungsrechtliche Sprengkraft

Das Bundesverfassungsgericht verlangt seit Jahrzehnten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk politisch unabhängig, finanziell gesichert und flächendeckend verfügbar sein muss. Ein Alleingang eines Bundeslandes würde daher ziemlich sicher in Karlsruhe landen – mit ungewissem Ausgang, aber klaren Risiken: Die Gerichte könnten dem Land Auflagen machen oder Teile des Projekts stoppen.

Ein politisches Signal – mit unklarer praktischer Umsetzung

Ulrich Siegmunds Vorstoß ist also weniger eine Verwaltungsmaßnahme als ein politisches Signal: ein Bruch mit der bestehenden Rundfunkordnung, die von allen demokratischen Parteien über Jahrzehnte gemeinsam getragen wurde. Ob und wie ein solcher Schritt tatsächlich umsetzbar wäre, steht auf einem anderen Blatt. Fest steht aber: Die Kündigung des Medienstaatsvertrags wäre kein Knopfdruck, der den Rundfunkbeitrag senkt oder den ÖRR „abschaltet“, sondern ein Schritt mit erheblichen juristischen, finanziellen und organisatorischen Nebenwirkungen – mit Folgen für Sender, Land und am Ende auch für die Bürgerinnen und Bürger.

Viele Bürgerinnen und Bürger verlangen eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Siegmunds Brechstange könnte sich aber zumindest als Türöffner erweisen.