Bürgerdialog im Belagerungszustand
AfD Westerwald in Stockum-Püschen – ein Abend zwischen Protest, Sicherheitsgefühl und Vertrauenskrise
Stockum-Püschen, dieses kleine Westerwald-Dorf, kennt die AfD Westerwald inzwischen so gut wie den örtlichen Bäcker. Ebenso routiniert rückt jedes Mal das Gegenprogramm an: Demos e.V., „Omas gegen Rechts“, das übliche linksaktivistische Spektrum aus der Region. Was früher Mahnwache hieß, ist inzwischen eher ritualisierter Straßenkonflikt.
Vor dem Gemeinschaftshaus leuchten bunte Lichterketten, akustisch aber ist von „bunt“ wenig übrig. Besucher der AfD-Veranstaltung werden mit Fäkalsprache und Beleidigungen eingedeckt. Ausgerechnet jene, die nach eigener Lesart „gegen Hass und Hetze“ unterwegs sind, liefern an diesem Abend eine ziemlich ungeschönte Demonstration davon, wie Hass klingt, wenn er aus der falschen Richtung kommt.
Die Polizei hat das Gemeinschaftshaus weiträumig abgesichert. Drinnen: rund 100 Zuhörer, konzentriert, aufmerksam, ruhig. Keine Tumulte, keine Parolen, keine ausgestreckten Arme – sondern Menschen, die sich Sorgen machen um ihre Sicherheit, ihre wirtschaftliche Zukunft, ihre Freiheit. Ob man diese Sorgen teilt oder nicht: Sie sind real, und sie sind der Treibstoff, aus dem die AfD in solchen Sälen ihre Kraft zieht.
Warm-up: Wurzeln, Dolche und die „wehrhafte Demokratie“
Kreisvorsitzender Bailey Wollenweber beginnt mit einem klassischen Motiv: Die AfD als Baum, der nur deshalb sturmsicher steht, weil die „Basis“ tiefe Wurzeln hat. Es ist Pathos, ja – aber dahinter steckt eine konkrete Erfahrung: Die Partei wird im Alltag von vielen Menschen getragen, die mit ihrem Namen und Gesicht im Dorf, im Betrieb, im Freundeskreis etwas riskieren.
Wollenweber richtet seinen Blick dann nach Berlin: Die SPD wird als „Kleinpartei“ verspottet, gleichzeitig aber als „Dolch im Rücken unserer Demokratie“ beschrieben, weil sie – aus AfD-Sicht – mit immer neuen Verboten, Ausgrenzung und „wehrhafter Demokratie“ in Wahrheit den politischen Wettbewerb einschränkt. Beispiele:
- Andeutungen über das Vernichten von Akten, falls die AfD mitregiert
- Verfassungsfeindliche Schmierereien auf Wahlzetteln in Landtagen.
- der Ausschluss von Kandidaten wie Joachim Paul, denen keine Straftaten vorgeworfen werden.
Hier zeigt sich der Kern des AfD-Narrativs: Nicht die AfD sei das Problem für die Demokratie, sondern jene, die im Namen der Demokratie politische Konkurrenz bekämpfen und damit die Spielregeln verändern. Und man muss fair sein: Dass Parteien, Medien und einzelne Amtsträger immer offener darüber sprechen, wie man die AfD „kleinhalten“ könne, füttert dieses Narrativ zuverlässig.
Am Ende ruft Wollenweber die Zuhörer auf, Mitglied zu werden – der Schritt vom Protestwähler zum Parteisoldaten. Die Anträge und die Spendenbox stehen bereit. Dann kommt der Mann, wegen dem viele überhaupt erschienen sind: Dennis Hohloch, MdL, Mitglied des Bundesvorstands – und seit seinem berühmten Gipsadler-Fall eine Art Maskottchen des AfD-Konflikts mit dem Verfassungsschutz.
Hauptact Dennis Hohloch: Zwischen Ost-Erfahrung und Systemkritik
Hohloch steigt mit Ost-West-Erfahrungen ein. Im Osten, so seine Erzählung, seien Gegendemos gegen AfD-Veranstaltungen kaum mehr ein Thema, man beschäftige sich dort eher mit der „fallenden Brandmauer“. Im Westen dagegen sei noch „einiges zu tun“. Zwischen den Zeilen: Die AfD sieht den Osten als politisches Labor dessen, was in ein paar Jahren auch im Westen Normalität sein könnte.
Die Adler-Story – mehr als eine Anekdote
Ein zentraler Baustein des Abends ist die Geschichte vom Gipsadler in seinem Landtagsbüro: Ein kleiner, dekorativer Adler aus Gips auf dem Schreibtisch, vom Verfassungsschutz im Bericht als Objekt mit „NS-Ästhetik“ beschrieben und zum Beleg für ein „geschichtsrevisionistisches Weltbild“ Hohlochs erklärt.
Man kann darüber streiten, ob der Verfassungsschutz hier überzogen hat. Aber genau solche Fälle sorgen dafür, dass ein ohnehin geringes Vertrauen vieler Bürger in staatliche Institutionen weiter bröckelt. Hohloch und Kollegen machten daraus eine politische Aktion: Der Adler wurde öffentlich präsentiert, bei eBay versteigert, 11.000 Euro flossen in den Wahlkampf in Sachsen-Anhalt. Die Botschaft an die Basis: Wir lassen uns nicht einschüchtern – wir drehen den Spieß um.
Die Kritik am Verfassungsschutz bleibt scharf: ein Geheimdienst, der Opposition „bespitzelt“ und an die Stasi erinnere, gehöre abgeschafft. Dass der Verfassungsschutz verfassungsrechtlich ein Kontrollinstrument des demokratischen Rechtsstaats ist, kommt in dieser Erzählung naturgemäß nicht vor. Aber der Punkt, dass staatliche Stellen vorsichtig sein müssen, ihr Misstrauens-Mandat nicht für politische Deutungskämpfe zu missbrauchen, ist nicht aus der Luft gegriffen.
Migration, Medien, Sicherheit – ein Abend entlang der neuralgischen Punkte
Hohlochs Rede arbeitet in langen Bögen, aber die Themen sind klar strukturiert: Migration, Sicherheit, Medien, Krieg, wirtschaftliche Existenz.
Migration & Sicherheit
Hohloch schildert eigene Eindrücke vom Frankfurter Hauptbahnhof, berichtet von Messerangriffen, Gruppenvergewaltigungen, einer stark gestiegenen Belastung durch Gewalttaten und ordnet einen Großteil dieser Probleme Migrantengruppen aus bestimmten Herkunftsländern zu.
Die Diagnose ist drastisch, die Sprache stellenweise grob. Aber: Die Themen sind real. Es gibt einen messbaren Anstieg bestimmter Gewaltformen, es gibt Integrationsprobleme, es gibt Fälle, in denen Täter längst hätten abgeschoben sein müssen. Wo die AfD mit Zahlen überzieht oder Komplexität zurechtstutzt, bleibt Aufgabe der sachlichen Gegenrede. Doch so zu tun, als seien diese Sorgen pure Hetze, ist bequem – und falsch.
Medien & Öffentlich-Rechtliche
Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk fährt Hohloch die große Artillerie auf: „Staatsfunk“, parteipolitische Durchsetzung der Gremien, Milliardenbudgets, moralische Belehrung statt neutraler Information. Die Reformvorschläge sind radikal: Auftrag auf Nachrichten & Kultur reduzieren, Funkhäuser verschlanken, einzelne Anstalten (etwa das ZDF) infrage stellen und die Finanzierung stark senken.
Dass der ÖRR in den letzten Jahren selbst mit Skandalen, absurden Gehältern, Bonuszahlungen und fragwürdigen Programmentscheidungen genug Munition geliefert hat, blendet die Gegenseite gern aus – im Saal dagegen wird jeder dieser Punkte dankbar aufgenommen.
Kritisch bleibt: Die AfD-Variante der Lösung ist ein politisch kontrollierter Kahlschlag von oben. Aber der Hinweis, dass der Status quo so nicht bleiben kann, ist alles andere als aus der Luft gegriffen.
Exkurs: Grußworte von Ulrich Siegmund (Afd-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt) in den Westerwald
Krieg, Bundeswehr und Wehrpflicht
Beim Thema Krieg und Frieden wird es ernst. Hohloch kritisiert EU- und Bundesregierung für eine aus seiner Sicht eskalierende Russlandpolitik, fordert Gespräche mit Russland, Energiebeziehungen ohne moralisierende Brille und warnt vor einem neuen großen Krieg in Europa.
Zur Bundeswehr bekennt er sich klar: Ja zur Wehrpflicht, aber ausdrücklich nur zur Verteidigung Deutschlands, nicht für Auslandseinsätze „am Hindukusch“ oder anderswo. Sein Ziel: echte Souveränität, bei der Deutschland nicht auf US-Soldaten im Land angewiesen ist.
Auch hier kann man die Schlussfolgerungen hinterfragen, aber die Fragestellung an sich ist legitim: Was heißt „wehrhafte Demokratie“ – und wer definiert, wofür deutsche Soldaten ihr Leben riskieren sollen?
Fragerunde: Sorgen, die sonst selten auf Podien landen
Die Fragerunde ist kein Krawallformat, sondern eher eine Sammlung von Themen, die in Talkshows gern als „Einzelfälle“ abgelegt werden:
- DDR-Vergleich & Ostidentität: Warum der Osten anders tickt, warum es dort (noch) mehr Gemeinschaft gibt und warum viele junge Leute dort eine neue Ost-Identität suchen.
- Außenpolitik & Merz in Brasilien: Peinliche Auftritte deutscher Politiker im Ausland, Erosion von Respekt und Seriosität.
- Souveränität & 2+4-Vertrag: Die große Debatte über die wirkliche Eigenständigkeit Deutschlands wird angerissen – Hohloch schiebt sie aber realpolitisch nach hinten; zuerst müssten Migration, Sicherheit, Medien und Schule grundlegend neu geordnet werden.
- Wehrpflicht & Musterung: Sorge, dass deutsche Jugendliche in Kriege geschickt werden, während ein Teil der hier lebenden Migranten aus der Musterung herausfällt.
- Gewalt an Schulen: Hohloch schildert Fälle von massivem Mobbing und Gewalt an Schulen, spricht über ein eigenes Meldeportal, nennt Zahlen zum Anstieg von Waffenfunden und benennt klar: Viele dieser Konflikte sind migrationsgeprägt – nicht alle, aber genug, um das Problem nicht länger schönzureden.
- Corona & Impfungen: Impfschäden, alleingelassene Betroffene, sinnlose Quotenlogik in Arztpraxen – Hohloch erzählt von einer Krankenschwester, deren Leben nach einer Impfung dauerhaft beschädigt sei, und von einer Politik, die Fehler nicht eingestehen will.
Man kann, ja man muss, viele seiner Zuspitzungen kritisch prüfen. Aber dieser Abend zeigt vor allem eins: Die AfD besetzt jene Problemfelder, die andere Parteien zwar kennen, aber ungern aussprechen. Und genau deshalb hören die Leute dort zu.
Zwei Realitäten auf engstem Raum
Draußen stehen Aktivisten mit „Kampf-gegen-Rechts“-Attitüde, die Besucher mit Beleidigungen eindecken und im Namen der Demokratie demonstrieren, indem sie demokratische Veranstaltungen am liebsten verunmöglichen würden.
Drinnen sitzen Bürger, die sich von Politik, Medien und Institutionen zunehmend bevormundet fühlen: Sicherheitsprobleme, Kriminalität, Migration, teure Klimapolitik, Kriegssorgen, Corona-Nachwirkungen – sie erleben das nicht als abstrakte Debatte, sondern als Bedrohung ihres Alltags. Und sie haben den Eindruck, dass ihre Themen nur noch bei der AfD ungefiltert ausgesprochen werden.
So entsteht, was man nach diesem Abend nüchtern festhalten kann:
In Stockum-Püschen existieren zwei Realitäten auf engstem Raum. Die eine kämpft „gegen rechts“ und sieht in der AfD die Vorstufe zum Autoritarismus. Die andere sieht in der AfD die letzte verbliebene Kraft, die überhaupt noch bereit ist, brennende Themen beim Namen zu nennen.
Die Wahrheit liegt – wie so oft – irgendwo dazwischen. Aber: Wer den „realen Kern“ der AfD-Kritik ignoriert oder moralisch wegdrückt, sorgt nur dafür, dass die Säle voller werden, die Polizeiketten länger und die Gräben tiefer.
Der Westerwald hat an diesem Abend keine fertigen Lösungen gesehen. Aber er hat gezeigt, wo in diesem Land die ungelösten Konflikte liegen. Und die werden nicht verschwinden, nur weil man „Omas gegen rechts“ davorstellt.
Nachschlag - Angriff auf Pressevertreter
Dabei handelte es sich zum Glück nicht um den Fingerklopfer. Anscheinend gingen die Linksradikalen auf einen Pressevertreter aus den eigenen Reihen los.