„Wenn du den Göring hörst…“ – Geschichte, Gegenwart und das Déjà-vu der Demokratie

In einer Zeit, in der öffentliche Debatten zunehmend polarisiert und moralisch aufgeladen sind, wirkt ein Gespräch mit einem klarsichtigen Historiker wie eine Erfrischung. Der Comedian und Historiker Salim Samatou verbindet Humor mit historischem Tiefgang – und schafft es, aus der Geschichte der Diktatur Lektionen für unsere Gegenwart zu ziehen, die schmerzlich aktuell wirken.
Salim, 1996 in Marokko geboren, kam 2010 nach Deutschland – ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Fünf Jahre später gewann er den Deutschen Comedypreis. Was wie ein modernes Märchen klingt, ist auch ein Beleg dafür, dass kluge Beobachtungsgabe und kulturelle Distanz manchmal den klarsten Blick ermöglichen. Denn während viele Deutsche die eigene Geschichte mit moralischer Scham betrachten, nähert sich Salim ihr analytisch – fast forensisch.
Der Reiz des Originals: Nürnberger Prozesse als Lehrstück
Besonders fasziniert zeigt er sich von den Nürnberger Prozessen. Er erzählt, wie er sich stundenlang Originalaufnahmen angehört hat – allen voran die Aussagen von Hermann Göring. Für ihn sind diese Dokumente „die wertvollsten historischen Quellen überhaupt“. Nicht, weil er die Taten glorifiziert, sondern weil sie zeigen, wie Macht funktioniert – und wie man eine Demokratie abschafft.
Göring erklärt im Originalton, warum man zuerst die Presse gleichschalten und die Opposition verbieten müsse, um politische Kontrolle zu sichern. Diese Kälte, gepaart mit absoluter Überzeugung, sei aufschlussreicher als jede Lehrbuchseite, sagt Salim. „Wenn du den Göring hörst, verstehst du, wie Macht funktioniert. Und du erkennst erschreckende Parallelen zu heute.“
Wiederkehrende Muster: Der Zerfall der Gewaltenteilung
Im Gespräch entfaltet sich ein Leitmotiv, das sich durchzieht: Demokratien sterben nicht an einem Tag – sie erodieren schleichend. Der erste Schritt sei immer das Aufweichen der Gewaltenteilung. Wenn Judikative, Legislative und Exekutive verschmelzen, ist der Weg frei für Machtkonzentration. Was einst als theoretische Warnung galt, beobachtet Salim heute praktisch: „Wenn Gerichte sich politisch angleichen, hast du keinen Schiedsrichter mehr – dann ist die Demokratie de facto ausgehebelt.“
Diese Entwicklung wird von einer öffentlichen Kultur begleitet, die Kritik zunehmend moralisch entwertet. „Früher hieß es: Denk selbst! Heute heißt es: Sag bloß nichts Falsches!“ Salim sieht darin die Vorstufe einer geistigen Gleichschaltung – nicht durch Zwang, sondern durch Angst.
Vom Opfer zum Held – die neue Moralökonomie
Ein besonders bissiger Abschnitt des Gesprächs widmet sich dem gesellschaftlichen Wandel: „Früher war ‚Opfer‘ ein Schimpfwort, heute ist es eine Berufsbezeichnung.“ Er beschreibt, wie eine Kultur entstanden sei, in der Schwäche mit Tugend und Durchhaltevermögen mit „toxischer Männlichkeit“ verwechselt werde. Diese Verkehrung der Werte führe dazu, dass „die lautesten Opfer die größten Gewinne machen“.
Mit scharfem Sarkasmus zieht er Parallelen zwischen heutiger Empörungskultur und historischen Mechanismen der Kontrolle: Wer ständig beleidigt oder bedroht ist, rechtfertigt jede Einschränkung von Freiheit – immer „zum Schutz der Demokratie“. Eine gefährliche Logik, die sich in der Geschichte schon oft bewährt hat.
Energie, Macht und das geopolitische Spiel
Im zweiten Teil des Gesprächs weitet sich der Blick: Salim beschreibt, wie Deutschland durch politische Fehlentscheidungen und moralische Hybris seine wirtschaftliche Basis zerstört habe. Die Abhängigkeit von billiger Energie – einst klug durch Nord Stream gesichert – sei nicht nur ökonomisch, sondern auch strategisch ein Eckpfeiler des Erfolgs gewesen.
Die Entscheidung, diese Verbindung zu kappen, bezeichnet er als „Selbstsabotage im Namen der Tugend“. Er zeichnet detailliert nach, wie US-amerikanische Energieinteressen, Fracking-Lobbys und moralischer Druck zusammenwirkten, um Deutschland in eine geopolitische Sackgasse zu führen.
„Die Grünen reden von Klima, während sie LNG aus Fracking importieren – das ist dreimal so schädlich. Das ist kein Umweltprogramm, das ist ein geopolitisches Theaterstück.“
Das Ende der Vernunft
Salim bringt es auf eine zugespitzte Formel: „Früher war Deutschland ein Land, das für Effizienz stand. Heute ist es ein Land, das sich selbst sabotiert – und dabei noch Applaus erwartet.“
Seine Analyse ist nicht die eines wütenden Aktivisten, sondern eines Beobachters, der die historische Struktur hinter der Gegenwart erkennt. Die Muster wiederholen sich: erst moralische Überhöhung, dann Einschränkung der Kritik, schließlich wirtschaftlicher Niedergang. Nur das Narrativ ändert sich – vom Führerprinzip zur Klima-Mission.
Fazit: Lernen, was wir vergessen haben
Das Gespräch endet mit einem bitteren, aber wahren Satz: „Wir werfen unseren Gegnern immer das vor, was wir selbst tun.“ Görings Mechanismus der Projektion – einst Werkzeug der Diktatur – scheint heute in neuem Gewand zurückzukehren.
Was bleibt, ist ein Appell: Geschichte verstehen heißt, sich selbst zu erkennen.
Nicht, um sich schuldig zu fühlen, sondern um wach zu bleiben. Denn wie Salim sagt:
„Wenn du den Göring hörst, weißt du, dass Demokratie nicht an den Bösen scheitert – sondern an den Bequemen.“