Wenn Ausschüsse zu Richtern werden

Am 5. August 2025 verweigerte der Wahlausschuss der Stadt Ludwigshafen dem AfD-Politiker Joachim Paul die Zulassung zur Oberbürgermeisterwahl. Begründung: Zweifel an seiner „Verfassungstreue“. Diese Zweifel stützen sich nicht etwa auf eine Verurteilung wegen verfassungsfeindlicher Umtriebe oder auf eine gerichtlich festgestellte Unvereinbarkeit mit demokratischen Prinzipien. Nein – Grundlage war ein elfseitiges Papier des rheinland-pfälzischen Innenministeriums, das auf Vermutungen, Bewertungen und Deutungen basiert, nicht auf überprüften Tatsachen.
Damit hat ein kommunaler Wahlausschuss de facto das passive Wahlrecht eines voll geschäftsfähigen, unbescholtenen Bürgers außer Kraft gesetzt – ohne richterliche Prüfung, ohne fairen Prozess. Ein massiver Tabubruch, den der renommierte Anwalt Joachim Steinhöfel für offenkundig rechts- und verfassungswidrig hält.
Das passive Wahlrecht – verfassungsrechtlich geschützt, aber faktisch ausgehöhlt
Nach Artikel 38 GG (für Bundestagswahlen) sowie nach den einschlägigen Landesverfassungen ist das aktive und passive Wahlrecht ein Grundpfeiler der Demokratie. Einschränkungen sind nur unter ganz engen Voraussetzungen zulässig – insbesondere nur dann, wenn ein Bürger durch ein formelles Gerichtsurteil das Wahlrecht verliert (z. B. bei schweren staatsgefährdenden Straftaten, vgl. § 45 StGB).
Was der Wahlausschuss Ludwigshafen hier getan hat, ist etwas ganz anderes: Eine politisch motivierte Vorprüfung, basierend auf einem nichtöffentlichen Gutachten des Inlandsgeheimdienstes, das pauschale Behauptungen über Kontakte und Wortwahl enthält, aber keine gerichtliche Tatsachenfeststellung.
Ein Verwaltungsorgan erhebt sich damit über die Justiz. Der Staat, der sich „wehrhaft“ gibt, entzieht damit einem Oppositionspolitiker das Grundrecht auf politische Teilhabe – nicht weil er verurteilt wurde, sondern weil es dem Ausschuss „nicht gefällt“, wofür er steht.
Was das Verfassungsschutzpapier wirklich ist: Eine Meinungsäußerung mit Machtanspruch
Wer sich das „Gutachten“ des Innenministeriums genauer anschaut (soweit es öffentlich bekannt ist), findet dort keine harten Beweise, sondern politische Bewertungen:
Paul habe mit der Identitären Bewegung* sympathisiert. Belegt? Unklar.
Er sei bei Compact TV* aufgetreten – eine Publikation, die rechts ist, aber legal.
Er habe den Begriff „Remigration“* verwendet – ein Wort, das zwar umstritten ist, aber nicht strafbar.
Kurz: Die Einschätzung basiert auf Mutmaßungen, Deutungen und Gesinnungslogik – nicht auf justiziablen Fakten.
Doch ein Wahlausschuss ist kein politisches Schiedsgericht. Er darf keine Gesinnungsprüfung vornehmen, sondern muss sich an Recht und Gesetz halten. Alles andere ist Willkür.
Rechtswidrig, aber folgenlos? Die Strafbarkeit bleibt offen
Dass der Ausschluss Pauls verfassungsrechtlich höchst bedenklich, wenn nicht klar rechtswidrig ist, liegt auf der Hand. Aber kann man die Mitglieder des Wahlausschusses dafür zur Rechenschaft ziehen?
Juristisch schwierig:
- Amtsanmaßung (§ 132 StGB) scheidet aus, da die Mitglieder formal legitimiert sind.
- Rechtsbeugung (§ 339 StGB) greift nicht, da keine richterliche Tätigkeit vorliegt.
- Auch die einschlägigen Wahlstraftaten (§§ 107a ff. StGB) setzen konkrete Manipulationen von Unterlagen oder Ergebnissen voraus.
Dennoch bleibt: Die Entscheidung war politisch motiviert, rechtlich dünn und demokratisch verheerend. Eine rechtliche Überprüfung wird folgen – ob Verwaltungsgericht oder Verfassungsgerichtshof, bleibt abzuwarten.
Wehrhafte Demokratie oder Gesinnungsjustiz?
Was sich hier zeigt, ist ein gefährlicher Trend: Die sogenannte wehrhafte Demokratie wird nicht mehr als Schutzmechanismus gegen Gewalt und Umsturz verstanden – sondern als Mittel, unliebsame Opposition durch Verwaltungsakte auszuschalten.
Dabei gilt: Die Wehrhaftigkeit der Demokratie endet dort, wo sie selbst die Grundrechte verletzt, die sie zu schützen vorgibt. Ein Wahlausschuss, der auf Zuruf einer Behörde politische Gegner ausschließt, handelt nicht im Geiste des Grundgesetzes, sondern erinnert an autoritäre Systeme, in denen nicht das Volk entscheidet, wer kandidieren darf, sondern ein Gremium hinter verschlossenen Türen.
Fazit: Ein Angriff auf die Demokratie im Namen ihres Schutzes
Die Vorgänge in Ludwigshafen sind kein Verwaltungsdetail, sondern ein demokratischer Dammbruch. Wenn Wahlausschüsse darüber urteilen dürfen, wer „verfassungstreu“ genug für eine Kandidatur ist, sind wir nicht mehr weit von chinesischen Wahlsystemen entfernt, bei denen nur genehme Kandidaten zugelassen werden.
Es ist Aufgabe der Gerichte – und notfalls der Wähler –, über politische Eignung zu entscheiden. Alles andere ist Missbrauch von Macht zur Ausschaltung der Opposition.
Wer die Demokratie gegen ihre Gegner verteidigen will, muss sie gegen ihre Erfüllungsgehilfen in Ausschüssen und Behörden noch viel entschiedener verteidigen.
Hinweis: Dieser Artikel stellt eine verfassungs- und verwaltungsrechtlich fundierte Meinungsäußerung dar. Er richtet sich gegen strukturelle Tendenzen – nicht gegen Einzelpersonen.