Der 17. Juni 1953 – Warum das Gedenken an den DDR-Unrechtsstaat nicht verblassen darf

Am 17. Juni 1953 erhoben sich in der DDR hunderttausende Menschen gegen ein diktatorisches Regime. Es war ein Aufstand aus der Mitte der Bevölkerung – getragen von Arbeitern, die ursprünglich nur gegen Normerhöhungen protestieren wollten, und sich dann schnell zu einer gesamtgesellschaftlichen Rebellion gegen Unterdrückung, Zensur und staatliche Willkür ausweitete. Der Volksaufstand wurde mit sowjetischen Panzern niedergeschlagen. Hunderte wurden verhaftet, viele gefoltert, mindestens 55 Menschen kamen ums Leben – erschossen auf offener Straße oder später hingerichtet.
Heute, mehr als 70 Jahre später, droht dieser zentrale Moment deutscher Nachkriegsgeschichte aus dem kollektiven Bewusstsein zu verschwinden. Die Gefahr liegt nicht nur im Vergessen, sondern in der schleichenden Relativierung eines Unrechtsstaates, der über vier Jahrzehnte hinweg Millionen Menschen in Angst, Bespitzelung und Entrechtung hielt.
Der Volksaufstand: Mehr als nur ein Arbeiterprotest
Was am Morgen des 17. Juni mit Bauarbeitern in der Berliner Stalinallee begann, entwickelte sich binnen Stunden zu einem Flächenbrand: In mehr als 700 Städten und Gemeinden im gesamten Staatsgebiet der DDR kam es zu Streiks, Demonstrationen und offenen Forderungen nach freien Wahlen, Pressefreiheit und dem Rücktritt der SED-Führung. Es war kein „Missverständnis“ oder „westlich gesteuerter Putschversuch“, wie es das SED-Regime später darzustellen versuchte. Es war ein verzweifelter Aufschrei einer Bevölkerung, die genug hatte von Bevormundung, politischem Terror und einer Wirtschaft, die auf dem Rücken der Werktätigen zusammenzubrechen drohte.
Dass der Aufstand brutal niedergeschlagen wurde – unter aktiver Beteiligung der sowjetischen Besatzungsmacht – zeigt, wie wenig Spielraum das kommunistische System für abweichende Meinungen und echte Reformen zuließ. Der 17. Juni wurde deshalb in der alten Bundesrepublik zum „Tag der deutschen Einheit“ erklärt – eine Erinnerung an das Streben nach Freiheit, bevor dieser Gedenktag 1990 mit der Wiedervereinigung durch den 3. Oktober abgelöst wurde.
Warum das Erinnern heute wieder politisch ist
Der Begriff des „Unrechtsstaates“ gerät heute zunehmend unter Druck. Ehemalige Funktionäre und Teile der politischen Linken relativieren systematisch die Diktaturerfahrung von Millionen DDR-Bürgern – mit dem Argument, man solle die „sozialen Errungenschaften“ in den Vordergrund stellen. Derartige Sichtweisen verkennen bewusst das Fundament des SED-Regimes: eine Einparteienherrschaft, die ohne freie Wahlen, ohne Gewaltenteilung und mit einem Stasi-Überwachungsapparat arbeitete, der selbst die Gestapo in puncto Dichte der Bespitzelung übertraf.
Wenn heute junge Menschen wenig bis gar nichts über den 17. Juni oder die politischen Gefangenen der DDR wissen, dann ist das nicht nur ein Versäumnis der Bildungspolitik – es ist eine Gefahr für das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik. Eine Gesellschaft, die nicht mehr zwischen Demokratie und Diktatur zu unterscheiden weiß, wird anfällig für autoritäre Versuchungen, für Geschichtsvergessenheit und politische Naivität.
Gedenken heißt Verantwortung übernehmen
Die Erinnerung an den 17. Juni ist keine Folklore und kein regionales Kapitel Ostdeutscher Geschichte – sie ist ein zentrales Element der gesamtdeutschen Demokratiegeschichte. Wer den Mut der Demonstranten von 1953 ehrt, ehrt nicht nur ihre Hoffnung auf ein besseres Leben – er verteidigt auch die Freiheit, die uns heute selbstverständlich erscheint, aber nie selbstverständlich sein darf.
Gerade in einer Zeit, in der Extremismus von links wie rechts wieder salonfähig zu werden droht, in der Desinformation und Propaganda erneut auf fruchtbaren Boden fallen, braucht es eine klare, ehrliche Erinnerungskultur. Der 17. Juni mahnt uns: Freiheit ist zerbrechlich. Und sie beginnt mit dem Willen, Unrecht als solches zu benennen – gestern wie heute.
Fazit
Das Vergessen des 17. Juni 1953 und die Verklärung der DDR als „alternative Gesellschaft“ sind keine akademischen Nebenschauplätze – sie untergraben die demokratische Kultur der Bundesrepublik. Ein freies Land muss auch in der Lage sein, das eigene Unrecht klar zu benennen. Das sind wir nicht nur den Opfern des DDR-Regimes schuldig, sondern auch uns selbst – und den kommenden Generationen.