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Folgen nun mehr AfD-Verbote von unten?

09. August 2025 // geschrieben von Manfred

Der Wahlausschuss der Stadt Ludwigshafen hat am 5. August 2025 entschieden, den AfD-Politiker Joachim Paul nicht zur Oberbürgermeisterwahl am 21. September zuzulassen. Als Begründung wurden Äußerungen und Veröffentlichungen genannt, die Zweifel an seiner Verfassungstreue begründen sollen.

Die Entscheidung hat bundesweit Aufmerksamkeit erregt – und eine Debatte ausgelöst: War das rechtmäßig? Könnte sich dieses Vorgehen wiederholen? Und droht am Ende eine „Verbotsstrategie von unten“, bei der Wahlausschüsse Kandidaten einzelner Parteien vorab ausschließen?

Der Fall Ludwigshafen im Überblick

Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (parteilos, bis 2023 SPD) hatte vor der Entscheidung das Innenministerium und Aufsichtsbehörden um eine Einschätzung zu Pauls Eignung gebeten.

In der Antwort des Innenministeriums wurden Kontakte Pauls zur „Neuen Rechten“, rechtsextreme Gesten und bestimmte Veröffentlichungen aufgeführt. Eine ausdrückliche Empfehlung zur Nichtzulassung enthielt das Schreiben jedoch nicht.

Der Wahlausschuss entschied schließlich mit Mehrheit, Paul nicht zuzulassen. Der Kandidat kündigte umgehend juristische Schritte an. Das Verwaltungsgericht Neustadt/Weinstraße soll nun im Eilverfahren entscheiden.

Rechtlicher Rahmen: Warum Bürgermeisterkandidaten anders geprüft werden

Bei Bundestags- oder Landtagswahlen haben Wahlausschüsse keine Befugnis, die Gesinnung von Kandidaten zu prüfen. Anders verhält es sich bei hauptamtlichen Bürgermeistern.

In Rheinland-Pfalz regelt § 53 Abs. 3 Gemeindeordnung, dass nur kandidieren darf, wer jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintritt.

"Wählbar zum Bürgermeister ist, wer Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes oder Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland ist, am Tag der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet hat, nicht von der Wählbarkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 des Kommunalwahlgesetzes ausgeschlossen ist sowie die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Zum hauptamtlichen Bürgermeister kann nicht gewählt werden, wer am Tag der Wahl das 65. Lebensjahr vollendet hat."

Diese Verfassungstreueprüfung erfolgt bereits vor der Wahl.

Bürgermeister gelten als Wahlbeamte und unterliegen daher beamtenrechtlichen Anforderungen, die sich deutlich von den Voraussetzungen für Abgeordnete oder Parteimitglieder unterscheiden. In einigen Bundesländern – etwa Hessen – wird diese Prüfung erst nach einer erfolgreichen Wahl vorgenommen, in mindestens acht Ländern jedoch vor der Wahl durch den Wahlausschuss.

Insofern war die Prüfung der Verfassungstreue in Ludwigshafen formal eine Pflicht des Wahlausschusses und keine Kompetenzüberschreitung. Die entscheidende Frage lautet jedoch, ob das Verfahren und die Begründung den hohen rechtlichen Anforderungen gerecht werden.

Kritik am Verfahren

Dennoch gibt es reichlich Grund, die Entscheidung und das Verfahren, welches zum Wahlausschluss von Joachim Paul führte, zu kritisieren. Juristen und Beobachter sehen mehrere Probleme.

  1. Politische Einflussnahme
    Im Vorfeld gab es öffentliche Forderungen, Paul nicht zuzulassen, unter anderem von Mitgliedern anderer Parteien. Demonstrationen begleiteten die Sitzung des Wahlausschusses. Da alle Ausschussmitglieder parteinah sind, stellt sich die Frage nach der Unvoreingenommenheit der Entscheidung.
  2. Fehlendes rechtliches Gehör
    Paul gibt an, dass er in der Sitzung überrascht worden sei, ohne vorher Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach gängiger Rechtsprechung muss Gehör rechtzeitig gewährt werden – nicht erst während der Abstimmung. Sollte dies zutreffen, wäre dies ein formaler Mangel, der die Entscheidung anfechtbar macht.
  3. Beweisgrundlage
    Die Entscheidung stützt sich nach Angaben von Kritikern auf ein Gutachten des Verfassungsschutzes, das vor allem Indizien aufführt, jedoch keine klaren und schwerwiegenden Belege enthält. Paul ist seit Jahren Beamter, ohne dass verfassungsfeindliche Vorfälle aktenkundig geworden wären.

Aber auch inhaltlich wird die Entscheidung von Experten hinterfragt. Denn die Indizien, auf denen eine solch weitreichende, tief in die Grundrechte und in unseren demokratischen Prozess eingreifende Entscheidung fußt, müssen gewichtig sein und weit über bloße Mutmaßungen und abstrakte Ängste hinausgehen.

Mögliche Kriterien für fehlende Verfassungstreue

Gerichte orientieren sich bei der Bewertung von Beamten in der Regel an folgenden Punkten:

Indizien gegen Verfassungstreue

  • Mitgliedschaft oder Funktion in extremistischen Organisationen, die als verfassungsfeindlich eingestuft sind
  • Teilnahme an Veranstaltungen mit verfassungsfeindlichem Charakter
  • Veröffentlichungen, die gegen Grundprinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet sind
  • Unterstützung verfassungsfeindlicher Gruppen, z. B. durch Spenden
  • Mehrere schwächere Hinweise, die zusammen eine negative Prognose rechtfertigen

Indizien für Verfassungstreue

  • Glaubhafte Distanzierung von früheren extremistischen Positionen
  • Unauffällige Amtsführung über längere Zeit
  • Engagement für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte

Ob das Verfassungsschutz-Gutachten, welches dem Wahlausschuss die Entscheidungsgrundlage liefern sollte, die nötigen schwerwiegenden Belege lieferte, wird von namhaften Juristen, u.a. dem Verfassungsrechtler Volker Böhme-Neßler oder vom Anwalt Joachim Steinhöfel bezweifelt.

Auch der Städtetag Rheinland‑Pfalz mahnt, dass eine Nichtzulassung nur bei engen rechtlichen Voraussetzungen und sorgfältiger Einzelfallprüfung zulässig ist.

Joachim Paul hat Klage gegen die Entscheidung erhoben, die nun im Eilverfahren binnen weniger Tage entschieden werden dürfte.

Politische und demokratische Dimension

Der Fall Ludwigshafen steht nicht allein. In mindestens zwei weiteren Kommunen – unter anderem in Lage (NRW) – kam es zuletzt zu ähnlichen Entscheidungen gegen AfD-Kandidaten. Kritiker sehen die Gefahr, dass diese Form der Vorab-Prüfung künftig strategisch genutzt werden könnte, um Kandidaten bestimmter Parteien auszuschließen.

Ein Parteiverbot oder der Entzug des passiven Wahlrechts sind in der Verfassung zwar ausdrücklich vorgesehen – aber nur unter strengen Voraussetzungen und nach Entscheidung durch Gerichte, in der Regel das Bundesverfassungsgericht. Politische Gremien wie Wahlausschüsse sind hierfür nicht zuständig.

Bewertung und Ausblick

Der Wahlausschluss von Joachim Paul ist ein tiefgreifender Eingriff in den Wahlprozess. Selbst wenn die Entscheidung formal auf einer gesetzlichen Pflicht beruhte, muss die Beweisgrundlage für eine solche Maßnahme klar, substantiiert und gerichtsfest sein. Andernfalls besteht das Risiko, dass das Vertrauen in die Neutralität des Wahlverfahrens Schaden nimmt.

Der Fall sollte daher eher als Warnung verstanden werden, wie sensibel solche Entscheidungen sind. Eine Demokratie wird nicht gestärkt, indem man unliebsame Kandidaten vor der Wahl ausschließt. Sie wird gestärkt, wenn sie diese Kandidaten im offenen politischen Wettbewerb widerlegt.

Ob das Beispiel Ludwigshafen künftig Schule macht oder eine Ausnahme bleibt, wird nicht zuletzt von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts abhängen.

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