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Die christlichen Wurzeln der Marktwirtschaft

16. Juni 2025 // geschrieben von Manfred

In Zeiten zunehmender Säkularisierung wirkt es beinahe anachronistisch, die Wurzeln unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung im Christentum zu verorten. Und doch: Wer sich mit der Geschichte Europas und der Entstehung der Marktwirtschaft ernsthaft auseinandersetzt, kommt an einem bemerkenswerten Befund nicht vorbei – die Grundlagen unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Freiheit sind tief christlich geprägt.

Ein Erbe, das wir nicht mehr erkennen?

Der katholische Theologe Romano Guardini verweist in seiner Ethik auf einen überraschenden Zeugen: Friedrich Nietzsche. Ausgerechnet er, der wohl lauteste Kritiker des Christentums, erkannte, wie stark die Moral des modernen Menschen vom christlichen Erbe zehrt. Begriffe wie Freiheit, Menschenwürde, Gleichheit vor dem Gesetz, Verlässlichkeit des Wortes – all dies sind keine rein säkularen Erfindungen, sondern Resultate einer jahrhundertelangen christlichen Gewissensbildung.

Diese Einsicht ist von enormer Tragweite. Denn sie bedeutet, dass zentrale Prinzipien unserer Marktwirtschaft – der Schutz des Eigentums, die Verlässlichkeit von Verträgen, die Bedeutung der Familie – nicht „neutrale“ Werte sind, sondern tief in einer religiösen Tradition wurzeln.

Die drei Säulen der Marktwirtschaft im Dekalog

Wer nach den moralischen Voraussetzungen einer freien Wirtschaftsordnung sucht, findet im biblischen Dekalog (den Zehn Geboten) klare Orientierung:

  1. Du sollst nicht stehlen – schützt das Privateigentum.
  2. Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen – begründet die Vertragsverlässlichkeit.
  3. Du sollst Vater und Mutter ehren – unterstreicht die Bedeutung familiärer Bindung.

Diese Werte sind nicht bloß moralischer Zierrat. Sie bilden das Fundament jeder funktionierenden Marktwirtschaft, wie es u.a. Friedrich August von Hayek herausarbeitete. Für ihn war das Eigentum die Wurzel aller Freiheitsrechte – auch, weil es das Selbsteigentum mit einschließt: die Verfügung über den eigenen Körper und Geist.

Christentum als Zivilisationsmotor

Der Ursprung des Kapitalismus in Europa ist kein Zufall. Der Soziologe Rodney Stark argumentiert, dass das Christentum als einzige Religion Vernunft und Logik zur Grundlage religiöser Wahrheit machte – ein fruchtbarer Boden für Fortschritt, Technik und wirtschaftliche Entwicklung. Anders als in der antiken Welt, wo das Individuum dem Staat untergeordnet war, stellt das Christentum den Einzelnen in den Mittelpunkt. Jesus sprach immer zum Individuum – nicht zu Kollektiven.

Alwin Schmidt bringt es auf den Punkt: „Gott erlöst nur Individuen, nie Gruppen.“ Dieser Fokus auf das Individuum setzte enorme Energien frei – auch wirtschaftlich.

Arbeit als göttliches Gebot

In der griechisch-römischen Antike galt körperliche Arbeit als etwas für Sklaven. Das Christentum hingegen erhob Arbeit zur Berufung. Jesus selbst war Zimmermann. In den Klöstern wurde „ora et labora“ (bete und arbeite) zur zentralen Lebensregel. Faulheit galt im Mittelalter sogar als Todsünde.

Max Weber beschrieb in seinem berühmten Aufsatz „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ diesen Zusammenhang. Doch seine einseitige Betonung des Protestantismus greift zu kurz. Bereits vor der Reformation bildeten sich in katholisch geprägten Stadtstaaten kapitalistische Muster heraus. Es war nicht die Konfession – es war das Christentum als Ganzes, das die Grundlagen für ein freiheitliches Wirtschaftssystem legte.

Die Notwendigkeit eines moralischen Rahmens

Freiheit braucht Ordnung. Und Ordnung braucht Regeln. Doch wie entstehen diese? Hayek sah in den überlieferten moralischen Normen – in dem, „was man tut und was man nicht tut“ – die Voraussetzung für jede funktionierende Gesellschaft. Diese Regeln sind nicht geplant, sie haben sich spontan entwickelt – wie Sprache. Und sie müssen fraglos gelten, sonst verlieren sie ihre Bindekraft.

Doch der moderne Mensch glaubt, alles sei rational planbar. Alte Regeln erscheinen ihm willkürlich, überholt, ersetzbar. Dieser Irrglaube – so Hayek – ist gefährlicher Konstruktivismus. Er liegt totalitären Ideologien zugrunde, von Sozialismus bis Kommunismus, und führt in die Unfreiheit. Was kurzfristig vernünftig scheint, ist langfristig oft zerstörerisch.

Religion als Garant der Freiheit

Wenn Regeln nicht mehr selbstverständlich gelten, braucht es einen Rahmen, der sie schützt – unabhängig vom Zeitgeist. Dieser Rahmen ist die Religion. Sie allein beansprucht universelle Gültigkeit. Gerade das Christentum mit seiner skeptischen Haltung gegenüber irdischer Macht hat durch die Trennung von Kirche und Staat im Mittelalter zur Dezentralisierung politischer Macht beigetragen – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Freiheit.

Die Gefahr der Entchristlichung

Heute erleben wir, wie sich Europa von seinen religiösen Wurzeln trennt. Dieses geistige Horrorvakuum füllt sich mit Ersatzreligionen: Sozialismus, radikaler Ökologismus, Gender-Ideologien – allesamt Ideologien mit totalitärem Potenzial. Wilhelm Röpke sprach schon vor Jahrzehnten von einer „sozialen Besessenheit“, die die Religion verdrängt und an deren Stelle die Politisierung der Existenz setzt.

Die Gesellschaft vergöttlicht sich selbst – und verliert dabei Maß, Mitte und Menschlichkeit.

Fazit: Europa wird christlich sein – oder gar nicht

Romano Guardinis düstere Prognose am Ende fasst die gesamte Problematik in einem Satz zusammen:
„Europa wird christlich sein – oder es wird gar nicht sein.“

Ob diese Mahnung Gehör findet? In einer Welt, die ihre Wurzeln vergessen hat, könnte genau dieses Erinnern der erste Schritt zur Erneuerung sein – wirtschaftlich, kulturell und geistig.

 

 

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