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„Man schützt sich und andere“ – und jetzt?

17. Dezember 2025 // geschrieben von Manfred

Am 15. Dezember 2025 saß der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erneut in der öffentlichen Sitzung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Corona-Pandemie. Thema war die Aufarbeitung der Pandemie-Politik – offiziell u. a. die Beschaffung von Impfstoffen und medizinischen Materialien. Dabei fiel eine Aussage, die nicht irgendein Nebensatz war, sondern tief in die Legitimationsstruktur der damaligen Maßnahmen eingreift: Laut Berichten aus der Kommission soll Spahn gesagt haben, dass die Corona-Impfung Dritte nicht geschützt habe, also keinen verlässlichen Fremdschutz geboten habe. Gleichzeitig wurde in der öffentlichen Kommunikation über Jahre hinweg stets der Leitsatz propagiert: „Man schützt sich und andere.“

Das klingt banal, ist aber alles andere als das: Dieser Satz – „Man schützt sich und andere“ – war über Jahre zentrales Narrativ in politischen Appellen, Werbekampagnen und politischen Rechtfertigungen. Er war der moralische und kommunikative Treibstoff für drakonische Maßnahmen wie 2G-Regelungen, Zugangsbeschränkungen, soziale und wirtschaftliche Sanktionen für Ungeimpfte. Kurz gesagt: Die politische Kommunikation baute auf der Annahme auf, dass ein medizinischer Status nicht nur das eigene Risiko, sondern auch das Risiko für andere Menschen beeinflusst – und dass es deshalb legitim sei, Menschen mit einem anderen medizinischen Status von gesellschaftlichen Bereichen auszuschließen.

Wenn die Impfung tatsächlich keinen relevanten Fremdschutz geboten hat, wie Spahn es vor der Kommission formuliert haben soll, dann steht die gesamte politische Basis dieser Maßnahmen auf wackeligen Füßen. Es ist kein akademischer Einwand, sondern ein politischer und ethischer Befund mit gravierenden Konsequenzen: Der Staat hat Millionen Menschen Einschränkungen ihrer Grundrechte, ihrer körperlichen Selbstbestimmung und ihres sozialen Lebens zugemutet, indem er diese Maßnahmen als solidarisch, notwendig und rational gerechtfertigt darstellte.

Die Realität war und ist diese: Die Corona-Impfung hatte einen gewissen Eigenschutz gegen schwere Verläufe, aber der Schutz vor einer Infektion und damit der Fremdschutz war – gerade mit späteren Virusvarianten – praktisch nicht gegeben. Das Robert-Koch-Institut weist inzwischen selbst darauf hin, dass Impfungen keinen zuverlässigen Schutz vor Infektionen bieten, sondern primär vor schweren Krankheitsverläufen. Dass Spahn dies vor der Kommission nun bestätigt haben soll, ist kein Randaspekt – es kratzt am zentralen Narrativ der Pandemie-Politik.

Gerade das 2G-Regime (Zutritt nur für „geimpft oder genesen“) war nicht eine bloß verwaltungstechnische Entscheidung. Es war eine politische Normsetzung, die Menschen faktisch zur Impfung drängte, indem ihnen Zugang zu Arbeit, Kultur, Freizeit und öffentlichem Leben nur dann gewährt wurde, wenn sie einen bestimmten Impfstatus vorweisen konnten. Dieser indirekte Druck war ein struktureller Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung, der rechtlich und ethisch extrem problematisch ist. Er stützte sich auf das Versprechen eines Fremdschutzes, der nun öffentlich relativiert wird.

Die Tragweite dieser Diskrepanz ist schwer zu unterschätzen: Grundrechte wurden nicht nur formal eingeschränkt, sie wurden begründet mit einer Schutzbehauptung, die sich im Nachhinein als nicht tragfähig herausstellt. Menschen verloren Alltagsteile, soziale Kontakte, berufliche Chancen – unter dem Vorwand, andere schützen zu müssen. Der Staat vertrat diese Argumentation nicht nur in banalen Situationen, sondern systematisch, konsequent und politisch eingesetzt. Viele Menschen nahmen diese Einschränkungen hin, weil sie glaubten, sie leisteten einen Beitrag zur Solidarität. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass der Fremdschutz kein starker, verlässlicher Pfeiler war – und dass dieser Umstand lange öffentlich verschleiert oder unklar kommuniziert wurde.

Das politisch Dramatische an Spahns Auftritt ist nicht nur, dass er einzugestehen scheint, was längst wissenschaftlich bekannt war – sondern dass er diese Erkenntnis erst nach Jahren der politischen Kommunikation zugibt, in der genau dieser Fremdschutz omnipräsent war. Das wirft Fragen auf über die Qualität der politischen Kommunikation, die Legitimation von Grundrechtseingriffen und die Verantwortlichkeit politischer Akteure.

Dass Grundrechte im Ausnahmezustand einzuschränken sind, ist kein Dogma, sondern eine juristische und ethische Obergrenze. Der Staat darf in einer Krise handeln, aber er muss die Verhältnismäßigkeit, die Evidenzlage und die Kommunikationsklarheit sicherstellen. Stattdessen erleben wir ein Szenario, in dem eine politische Botschaft über Jahre als moralischer Imperativ diente, die sich bei nüchterner Überprüfung als unhaltbar herausstellt. Das ist der Kern der Kritik: Der Staat forderte Solidarität ein, aber die wissenschaftliche Grundlage für seine Solidarisierungsformel war nicht gegeben.

Spahns Aussage vor der Enquete-Kommission muss deshalb nicht nur als politisches Statement verstanden werden, sondern als ein Zäsurpunkt in der Bewertung der Pandemiepolitik: Ein Narrativ, das als moralischer und politischer Anker diente, wird offen relativiert – Jahre zu spät und ohne transparente Erklärung, wie viele Entscheidungen darauf aufgebaut wurden. Die Aufarbeitung der Corona-Politik ist keine marginale historische Fußnote. Sie ist ein zentraler Prüfstein dafür, wie demokratische Gesellschaften in Krisenzeiten handeln – und wie sie Grundrechte, Kommunikation und Vertrauen miteinander in Einklang bringen.

Die Lehre daraus muss klar sein: Wenn Grundrechte eingeschränkt werden – wie im Fall von 2G oder anderen Kontakt- und Teilhabebeschränkungen – dann muss dies auf gnadenlos klaren, transparenten und belastbaren Fakten beruhen. Nicht auf politisch nützlichen, aber ungenauen Narrative. Nicht auf einem „wir dachten, es sei so“. Und schon gar nicht auf einer Botschaft, die sich im Nachhinein als politischer Mythos statt medizinische Evidenz entpuppt.

Und wir waren die "Schwurbler"?

Quelle: Berichterstattung von Nius