„Gute Absichten sind kein Ersatz für gute Politik“

Im Gespräch mit Apollo News legt der Ökonom Prof. Dr. Stefan Kooths, Konjunkturchef am Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) und Vorsitzender der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft, seine fundierte Analyse der aktuellen wirtschafts- und finanzpolitischen Lage Deutschlands und Europas vor. In bemerkenswerter Klarheit und Tiefe kritisiert Kooths die gegenwärtige Schulden- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und warnt vor den strukturellen Fehlanreizen, die daraus entstehen – insbesondere zulasten der ökonomisch Schwächeren.
Ein fiskalpolitischer Kurs mit Risiken
Kooths analysiert die Auswirkungen der stark expansiven Schuldenpolitik der Bundesregierung. Kurzfristig könne ein schuldenfinanzierter Ausgabenschub zwar konjunkturelle Impulse setzen, langfristig jedoch erschöpfe sich dadurch der fiskalische Handlungsspielraum – nicht zuletzt durch steigende Zinslasten. Die Vorstellung einer Selbstfinanzierung durch wachstumsbedingte Mehreinnahmen sei laut Kooths ein Trugschluss.
Besonders kritisch sieht Kooths die Signalwirkung, die von der deutschen Schuldenpolitik auf europäischer Ebene ausgeht. Deutschland, einst als Stabilitätsanker in Europa angesehen, entferne sich durch Regelverstöße zunehmend von der Vorbildfunktion. Das untergrabe die jüngst reformierten europäischen Schuldenregeln – mit potenziell destabilisierenden Effekten für die gesamte Währungsunion.
EZB in der Zwickmühle – Zwischen Geldwert und Staatsfinanzierung
Ein zentrales Problem identifiziert Kooths in der wachsenden Abhängigkeit der Finanzmärkte von der Geldpolitik. Die EZB gerate durch steigende Schuldenstände in einen Zielkonflikt: Stabilität des Geldwertes versus Stabilität der Staatsfinanzen. Kooths warnt, dass sich die Notenbank zunehmend zur politischen Akteurin entwickle – mit schleichender Inflationsgefahr, die vor allem die einkommensschwächsten Bevölkerungsteile treffe. Besonders bemerkenswert ist dabei seine Kritik an der linken politischen Seite, die ausgerechnet jene Politikformen unterstütze, die sozial am meisten Schaden anrichteten.
Kooths verweist auf die strukturellen Wachstumshemmnisse in Deutschland: Demografie, Dekarbonisierung und Verteidigungsausgaben würden parallel Ressourcen beanspruchen, ohne Produktivität zu steigern. Die Wirtschaftspolitik reagiere darauf überwiegend mit zusätzlichen Schulden statt durch Priorisierung und Umschichtung. Das sei nicht nachhaltig. Wenn sich die wirtschaftspolitische Debatte zunehmend von der Realität der Produktionsgrenzen abkoppele, sei der wirtschaftliche Niedergang vorprogrammiert.
Fehlende Strukturreformen und „Strohfeuerpolitik“
Kooths kritisiert, dass die Bundesregierung sich auf positive Konjunkturprognosen stütze, ohne echte Strukturreformen anzugehen. Die scheinbare Erholung sei nicht Ergebnis eines strukturellen Aufschwungs, sondern lediglich das Resultat eines kurzfristigen Ausgabenimpulses – ein klassisches „Strohfeuer“. Das Wachstumspotenzial bleibe damit niedrig.
Besonders deutlich wird Kooths bei der Rentenpolitik: Trotz des demografischen Wandels bleibe eine umfassende Reform aus. Die politische Untätigkeit, so Kooths, sei nicht einem Erkenntnis-, sondern einem Umsetzungsproblem geschuldet. Die politische Rhetorik beschwichtige, statt zu handeln.
Ein Schwerpunkt des Gesprächs ist die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Kooths beklagt, dass statt marktgetriebenem Strukturwandel politisch induzierte Brüche dominierten – etwa durch überzogene Regulierungen und eine ineffiziente Energiepolitik. Die deutsche Industrie verliere zunehmend ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die Standortattraktivität werde durch hohe Energiepreise, eine überbordende Bürokratie, mangelhafte Infrastruktur und schlechte demografische Aussichten geschwächt.
Kooths sieht hier einen dringenden Bedarf an grundsätzlichem politischen Umdenken – weg von interventionistischer Industriepolitik, hin zu stabilen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen.
Die Hayek-Gesellschaft und die Rückbesinnung auf marktwirtschaftliche Prinzipien
Als Vorsitzender der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft steht Kooths für eine marktwirtschaftlich geprägte Ordnungsökonomie. In dieser Tradition stehend, betont er die langfristige Überlegenheit eines Systems, das auf Eigenverantwortung, Marktprozesse und staatliche Zurückhaltung setzt. Die Hayek-Gesellschaft wurde 1998 gegründet und verfolgt das Ziel, freiheitliche und wettbewerbliche Prinzipien in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu fördern. Sie steht in der Tradition von Friedrich August von Hayek, einem der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, der in seinem Werk „Der Weg zur Knechtschaft“ vor den Gefahren eines allmächtigen Staates warnte.
Kooths sieht gegenwärtig einen bedrohlichen Verlust an ordnungspolitischem Bewusstsein – ein Rückfall in den Interventionismus, der nicht durch Erkenntnis, sondern durch Krisen gezwungen, irgendwann korrigiert werden müsse.
Argentinien als Gegenbeispiel – Mileis Experiment als Hoffnungsträger
Besonderes Interesse zeigt Kooths am wirtschaftspolitischen Kurs Argentiniens unter Präsident Javier Milei. Dessen radikaler marktwirtschaftlicher Reformkurs – inspiriert durch die österreichische Schule der Nationalökonomie – habe dem Land in kurzer Zeit positive Entwicklungen beschert, obwohl er massive Einschnitte durchsetze. Das sei ein Beleg dafür, dass wirtschaftsliberale Politik wirken könne – insbesondere dann, wenn sie konsequent erklärt werde.
Kooths betont: Eine gute Wirtschaftspolitik dient den Schwächeren, weil sie ihnen Chancen im eigenen Land eröffnet, statt sie zur Abwanderung zu zwingen. Mobil sind vor allem die Gutverdiener – die weniger Qualifizierten hingegen sind auf einen funktionierenden Standort angewiesen.
Fazit: Ordnungspolitik statt Wohlfühlrhetorik
Stefan Kooths zeichnet im Gespräch mit Apollo News das Bild einer Wirtschaftspolitik, die derzeit weitgehend den Pfad der Vernunft verlassen hat. Statt ernsthafte Reformen anzugehen, flüchte man sich in Schulden, Symbolpolitik und Stimmungsmanagement. Der Preis dafür werde langfristig hoch sein – vor allem für jene, die sich am wenigsten dagegen wehren können.
Sein Appell: Wirtschaftspolitik braucht keine neuen Ideen, sondern eine Rückbesinnung auf bewährte Prinzipien. Wer eine zukunftsfähige Gesellschaft will, muss wieder Ordnung in den Staatshaushalt bringen und dem Markt wieder mehr Raum geben.
Kurzporträt: Prof. Dr. Stefan Kooths
Prof. Dr. Stefan Kooths ist Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum am Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Business and Information Technology School (BiTS). Er gilt als einer der führenden Vertreter ordnungspolitischen Denkens in Deutschland.
Als Vorsitzender der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft engagiert sich Kooths für die Prinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung und einen schlanken, aber starken Staat, der verlässliche Rahmenbedingungen schafft, anstatt in wirtschaftliche Prozesse einzugreifen. Kooths steht für eine ökonomische Debatte, die sich dem mündigen Bürger verpflichtet fühlt – frei von Dogmen, aber fest im Ordnungsdenken verwurzelt.